Energieberater schlagen Alarm

Energieberater aus Stadt und Landkreis schlagen Alarm: Klimaschutz stößt an Grenzen

Eigentlich müssten sie sich freuen – die Energieberater. Allein beim Energieberatungszentrum (ebz) in Hildesheim wurden von fünf Mitarbeitern im April fast 14 000 Anträge auf Maßnahmen zu energieeinsparenden Projekten bearbeitet. 2021 waren es erst 7000, ein Jahr zuvor knapp 2500. Kommt die Energiewende also mit Höchsttempo voran?

Mitnichten, urteilen René Hußnätter und Frank Melchior, beide ebz-Geschäftsführer unisono. „Die neue Bundesregierung hat ein Ziel gesetzt, dass wir so nie erreichen werden“, sagt Melchior. Bis 2045 sollen alle Kommunen klimaneutral werden, der Krieg in der Ukraine habe auch dem Letzten klar gemacht, was in puncto Gas- und Erdölabhängigkeit auf dem Spiel steht, und immer mehr Hausbesitzer sind heiß drauf, ihr Eigentum energietechnisch zu modernisieren. Doch: „Wir kommen mit unseren Beratungen einfach nicht hinterher.“

Hußnätter und Melchior wollen nun in der Region Hildesheim die Reißleine ziehen. „Wenn wir einfach streiken würden, wird die Politik vielleicht merken, was auf dem Spiel steht“, sagt Melchior. Doch so einfach funktioniere es nicht. Deswegen setzen die beiden nun auf eine andere Strategie. Sie haben die insgesamt 49 Energieberater in Stadt und Landkreis zu sich eingeladen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Knapp die Hälfte sind im ebz in der Osterstraße erschienen, erzählen alle die gleichen Geschichten, die auf eines hinauslaufen: Sie sind am Limit. So fasst Melchior das erste Treffen zusammen, das nicht das letzte sein wird. „Es sei längst Zeit für so eine Initiative, war die einhellige Meinung“, sagt Melchior.

Lange Wartezeiten
Wie es bei den Beratern – die korrekt eigentlich Energieeffizienzexperten heißen – derzeit zugeht, macht Hußnätter deutlich. Neulich sei er von einem Arzt aus Hameln angerufen worden: „Ich sei der zehnte, den er an der Strippe hatte, keiner konnte ihm einen Termin anbieten.“ Wartezeiten von einem Jahr seien keine Seltenheit. Für viele Anträge auf Bundeszuschüsse seien aber qualifizierte Beratungen eine Voraussetzung, sagt er. Doch allein so ein Antrag sei eine bürokratische Hürde ohnegleichen: „Die sind jetzt noch komplizierter geworden als vorher.“

Und selbst dann kommt das Projekt noch nicht an den Start. Denn für viele Anlagen und das Zubehör stehen lange Lieferzeiten an. Außerdem würden in den Handwerksbetrieben die Fachkräfte fehlen. Kurzum: Der politische Wille ist da – die praktischen Voraussetzungen nicht.

„Ein schneller Schritt wäre es, die bürokratischen Hürden einzureißen“, sagt Melchior. Das würde mehr Tempo bringen. Dann sei es unumgänglich, die Zahl der Energieberater bundesweit deutlich zu erhöhen. Im Jahr 2021 gab es laut Liste 13 000 Berater, denen gegenüber standen allein 463 768 Förderanträge, die auf den Weg gebracht werden sollten: „Das ist einfach nicht zu schaffen.“

Betroffen sind die klassischen Hausbesitzer mit einem Anteil von 42 Prozent, andere Gebäude wie Betriebe oder kommunale Einrichtungen machen zwar nur 2 Prozent aus, seien aber umso aufwändiger im Beratungsbedarf, und die restlichen 56 Prozent entfallen auf Einzelmaßnahmen wie PV-Anlagen oder Fassadendämmung.

Fachkräftemangel
„Berlin hat das nicht auf dem Schirm“, warnt Melchior. Beim ebz laufen die Telefone heiß, auch Bürgermeister rufen an und bitten um Unterstützung, sagt Hußnätter. Doch um neue Energieberater zu gewinnen, müssten geeignete Leute wie Ingenieure oder Architekten zum einen dazu bereit sein und zum anderen eine sechsmonatige Ausbildung durchlaufen.

Um wenigstens in der Region Hildesheim voranzukommen, wollen Hußnätter und Melchior, die 2009 das ebz gegründet haben, nun die Kompetenz in der Region bündeln. „Vielleicht kann man schon bei der Terminvergabe die Anfragen so besser an die richtigen Experten delegieren“, schlägt Melchior vor.

In der Tat zählt das zu den frischen Ideen bei dem ersten Treffen der Expertenrunde, die nun alle halbe Jahre zusammenkommen soll, um Modelle zu vereinbaren, bei denen mehr Kooperation möglich wird.

Doch als erstes soll ein politisches Zeichen gesetzt werden, kündigt Melchior an. Passend zur Landtagswahl wird ein Treffen mit Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern als Vertreter der Region Hildesheim geplant, um wenigstens die Stellschrauben vor Ort zu stellen.

Melchior und Hußnätter können sich auch vorstellen, eine eigene Ausbildungsakademie aus der Taufe zu heben. Melchior ist auch im Vorstand des Bundesverbandes für Altbauerneuerung, der solche Ideen unterstützt. Noch besser sei es aber, die beim Landkreis bestehende Klimaschutzagentur, das ebz und eine Verbraucherberatung unter ein Dach zu bekommen. „Das hatten wir vor Jahren schon vorgeschlagen“, sagt Hußnätter. Passiert sei nichts.

Dafür steige der Beratungsbedarf ebenso wie die Energiepreise. „Wir müssen dringend etwas unternehmen“, sagt Melchior. Dass sie dazu in der Lage wären, haben sie mit dem ebz bewiesen, das sich als politisch unabhängig bezeichnet. Zu den Gesellschaftern zählen die EVI, Banken und andere Partner, zu den Einkünften zählen eben die Beratungen sowie Mitgliedsbeiträge von Firmen und auch Kommunen.

Von Norbert Mierzowsky

Für die Energiewende fehlt schlicht das Personal, es gibt zu wenig Berater. Aber die sind nötig, damit niemand in die falsche Richtung investiert.
Eines kann die Politik jetzt schon wuppen: die bürokratischen Hürden für die Antragsstellung von Klimaschutzmaßnahmen stark vereinfachen. Das hilft vor Ort. Aber es reicht nicht. Gut, dass die Berater in der Region nun Alarm schlagen und selbst nach weiteren, schnellen Lösungen suchen.